Von gewonnen Startplätzen, einem gespaltenen Sattel und Slalom um Kühe: Ein Erfahrungsbericht vom Ötztaler Radmarathon

Vorbereitung

 

Eigentlich wollte ich nicht unbedingt einen Startplatz haben, hatte allerdings gehört, dass man nach drei erfolglosen Bewerbungen im Folgejahr garantiert einen der begehrten Plätze bekommt. 2019 hätte mir besser gepasst, aber hergeben oder verschenken wollte ich meinen Startplatz natürlich auch nicht, also wurde in diesem Jahr schon gefahren.

Ich hatte keine Zeit, mich mit der Vorbereitung des Ötztaler Radmarathons zu befassen und wusste somit nicht wirklich, worauf ich mich da eingelassen hatte. Im Vorfeld hat man schon hier und da was gehört und jeder gibt seinen Senf dazu, aber behalten habe ich von den wohlgemeinten Tipps so gut wie nichts. Nun, eine Woche vorher sollte man sich schon ein paar Gedanken machen.

Zumindest ein Hotel hatte ich schon reserviert, weshalb ich mich nun mit der Strecke auseinandersetzen konnte. Kühtai, Brenner, Jaufen und die Bestie Timmelsjoch – also brauchte noch kurzfristig eine „Mädchenübersetzung“. Mit einem 34er Blatt vorne konnte ich noch leben, aber ein wenig geschämt habe ich mich dann doch, als ich bei Franz mein Pizzablech, sprich 30er Ritzel bestellte. 

Aber irgendwie schaltete diese Kombination nicht ganz nach meinen Vorstellungen. Die letzten drei Ritzel gingen zwar, rasselten mir jedoch eindeutig zu laut. Nachdem ich mein Rad verzweifelt halb auseinandergenommen hatte, fand ich endlich den Fehler: Das Schaltauge war ein wenig gelockert. 

Zusätzlich noch frische Bremsbeläge, eine fette Satteltasche und zumindest das Rad war fertig.

Am Anreisetag sah es danach aus, dass jeder nach Österreich wollte. Statt geplanten dreieinhalb, dauerte die Fahrt acht Stunden. Entsprechend gestresst checkte ich schnell in mein Hotel ein und holte die Startunterlagen, wo ich sehr erfreut Marek Sebek, den Sohn meines Rad-Dealers, traf. Da Mareks Brötchengeber Trek einer der Sponsoren des Events ist, hat er wohl einen vorderen Starplatz ergattert. Egal, denk ich in meiner Naivität und Überheblichkeit, den werde ich schon irgendwo einsammeln und dann können wir schön gemütlich zusammen fahren. 

Nach dem Rennbriefing, von dem bei mir kaum etwas hängen geblieben ist, kehrte ich in mein Hotelzimmer zurück. Die gute Nachricht beim Briefing war, dass es nicht schneien solle. 

Während „Klein gegen Groß“ im Fernsehen lief, legte ich meine Rennsachen für den nächsten Tag zurecht und entschied mich kurzfristig um. Zum Glück hatte ich ersatzweise noch Wintersachen dabei. Egal, ob es farblich passte oder nicht, die wollte ich am nächsten Tag anziehen. Meine Velotoze Regenüberschühe in Schlumpfblau sollten sich dabei als goldrichtig erweisen. 

 

Renntag

 

Der Wecker klingelte bereits um 05:00 Uhr, also schnell zum Frühstück, rein in die Klamotten und ab zum Start. Als ich da Eintraf, war es bereits schon 6:30 Uhr und der Start nur 15 Minuten später. Noch regnete es nicht und danach sah es auch nicht unbedingt aus. Ich fühlte mich ein wenig wie in meiner Schulzeit, die Lustigen saßen da auch immer hinten. Hier und da neben mir andere Teilnehmer in kurzem Shirt und kurzer Hose - was bin ich doch für ein Weichei. Endlich ging es los und wir rollen nach über 1,5 Kilometer über die Startmatte.

Die ersten ca. 30 Kilometer bis Oetz schmolzen dahin, für den einen oder anderen war das Abenteuer „Ötztaler Radmarathon“ nach dieser kurzen Strecke bereits wieder vorbei, da sie ungewollt Kontakt mit dem Tiroler Asphalt aufnahmen. Es ist durchaus etwas befremdlich gewesen, wie einige Teilnehmer scheinbar auf Teufel komm‘ raus versuchten Plätze gut zu machen.

Nach einer 90-Grad-Rechtskurve in Oetz fing die Kletterei endlich an - Kühtai here we come! Ich fühlte mich anfangs gut und obwohl bis Oetz kaum getreten werden musste, fand ich relativ schnell meinen eigenen Tritt. Nur meine immer wieder beschlagene Brille nervte. Nach etwa drei zurückgelegten Anstiegskilometern wurde es mir in meinen Wintersachen allerdings doch zu heiß und ich hielt ein erstes Mal an, um mich auszuziehen. Die Erfahrenen hatten dies bereits gleich am Fuße des Berges gemacht und überholten mich jetzt wieder. Schwer belehrbar, würde mir das noch einige Male passieren. Ohne Mütze sah ich auch wieder besser, da meine Brille nicht mehr beschlug. 

Noch zu diesem Zeitpunkt war das Teilnehmerfeld sehr eng und ich versuchte erneut den Übereifer einiger Fahrer zu verstehen. Es wurde geschnitten und geschubst, für mich selbst wurde es zum Glück nie wirklich brenzlig.

Peu-a-peu merkte ich, wie wichtig Streckenkenntnisse bei solch einem Event sein können. Der Kühtai zog und zog sich und wenn ich dachte, es werde flacher und ich hätte es geschafft, wartete bereits die nächste Rampe. Das wiederholte sich einige Male und auch im Dorf oben war der Anstieg noch nicht bewältigt. Erst nach gut 17 Kilometern und 1200 Höhenmetern waren wir endlich oben auf etwa 2000 Meter über dem Meer angekommen. 

Doch nun konnte wollte ich meine Stärke in der Abfahrt zeigen. Bei teilweise nur 20 Meter Sicht und zwischenzeitlich eingesetztem Regen war das jedoch nicht der erhoffe Spaß. Der Druckpunkt meiner Bremsen lag durch das ständige Bremsen immer weiter hinten und ich befand mich erst auf der ersten Abfahrt, was mich doch ein wenig beunruhigte. Insgeheim fragte ich mich, ob ich den Servicewagen vielleicht irgendwann in Anspruch nehmen werden müsste. 

Die Abfahrt war eine einzige Schinderei und bereitete nicht die ersehnte Freude. Da ich in dieser Nebelsuppe kaum was sah, fuhr ich volle Kanne in ein Schlagloch und es knarzte gewaltig unter meinem Hintern - mein Speedneedle-Sattel hatte sich verabschiedet. Wenn ich aufstehen wollte, merkte ich, wie meine Hose sich in dem Satteldeckenriss verfangen hatte. Ich stellte mir die berechtigte Frage, ob der Sattel noch bis zum Ende durchhalten würde?

Irgendwie sind wir irgendwann dann doch unten in Völs angekommen und der weitere Weg führte uns nach Innsbruck, wo wir uns auf den Brenner freuen konnten. Man muss die Tiroler wirklich dafür lieben, wie sie im mehr als bescheidenen Wetter stundenlang jeden Einzelnen anfeuern. Während meiner Tour Transalp im Jahr 2015 konnte ich in Imst bereits erleben, wie das ganze Dorf auf den Beinen war, um alle Fahrer anzufeuern und abzuklatschen. Einfach genial!

Auch in diesem Jahr sah ich am Streckenrand nur sportbegeisterte und freundliche Menschen. Da wird es mir beim Verfassen dieser Zeilen schon wieder warm ums Herz. 

Während wir den Brenner so hinauf bretterten überlegte ich kurz, ob Auswandern eine Alternative wäre; die Leute sind nett, man kann schön Rad fahren, das Essen ist ganz passabel...aber beim Blick auf das Wetter verwarf ich diese Idee gleich wieder.

Brennerpass, genau mein Ding - nicht zu steil und hier und da eine kleine Rampe. Hier gab ich Esel Gas, bis ich merkte, dass sich eine Gruppe von ca. 100 Mitstreitern in meinem Windschatten ausruhte. Die Quittung dafür sollte irgendwann später bekommen. 

Bei Sterzing war der Brennerspaß dann vorbei. Dafür war die Hälfte der Strecke schon zurückgelegt. War das Wetter am Brenner noch halbwegs akzeptabel, war es hiermit nun endgültig vorbei. Der Jaufenpass und weitere 1100 Höhenmeter lagen vor uns. Alle haben zuvor vom Timmelsjoch geredet, aber vom Jaufener habe ich nichts gehört. Würde also bestimmt nicht ganz so schlimm werden. Allerdings schien auch der Jaufenpass ewig zu dauern und mir wurde es ein wenig langweilig. Ich las die Namen auf den Rückennummern und fragte mich, von wo jeder wohl hergekommen ist. Bei Ari und Jari tippte ich auf Finnland. Richtig! Schon erstaunlich, was Mitfahrer im Halbdelirium einem so alles erzählen, allerdings möchte ich nicht zu weit abschweifen. Für mich gingen durch diese Gespräche die Kilometer schneller vorbei. Ich traf auch noch einen Fahrer ohne rechten Unterarm und ohne linken Oberschenkel. Der arme Kerl hatte zu seinem Handicap auch noch Schaltprobleme. Wie gut man es selbst doch in Wirklichkeit hat. Weh tat dieser Drecksjaufen zu diesem Zeitpunkt trotzdem. 

 

Ich freute mich auf die nächste Labestation. In diesem Ameisenhaufen musste man zunächst irgendwo ein Plätzchen finden, um sein Rad loszuwerden, um sich dann an einen der Tische zu verpflegen. Die Helfer waren außerordentlich hilfsbereit und füllten, für den, der wollte, die Flaschen sogar mit Red Bull. Ich blieb dann aber doch lieber bei Wasser und einer Hand voll Erdnüssen. Blöd war nur, dass wir nach der Verpflegung noch immer nicht ganz oben waren und noch einige Höhenmeter zu klettern hatten bis wir uns zum Anstieg des Timmelsjoch hinunterstürzen durften. Auch hier war die Abfahrt alles andere als ein Vergnügen und ich musste zusätzlich noch aufpassen mich nicht hinzusetzen, um den Sattel nicht weiter zu demolieren. 

Nach der Abfahrt vom Jaufen fing der lange Weg hinauf zum Timmelsjoch interessanterweise nach einer 180-Grad-Kurve direkt an. Die Milchsäure schoss mir in St. Leonhard sofort in meinen Oberschenkel, erst rechts, dann links. Der Sattel ächzte noch mehr, aber ich musste mich einfach hinsetzen, wie auch einige andere um mich herum. 

Seit dem Jaufenpass hatte ich scheinbar meine Leistungsgruppe gefunden und fuhr quasi ständig mit den gleichen Kollegen durch die Gegend. Die Räder, die Hintern, die Trikots und die Namen auf den Startnummern kamen einem fast schon vertraut vor.

Auch das Timmelsjoch war eine einzige Entdeckungsreise für mich. Fuhr ich den Jaufenpass noch mit 220-230 Watt hinauf, waren am Timmelsjoch gerade noch 200 Watt drin. Ich schätzte halbwegs, dass nach vielleicht 15 Kilometern, eine Art Hochebene kommen müsste, auf welcher ich mich kurz ausruhen könnte.  Für die nächsten zwei bis drei Kilometer wurde es kaum steiler als drei Prozent. Das fühlte sich dann fast wie eine leichte Abfahrt an, allerdings nicht lange, da die nächsten Rampen mit bis zu zwölf Prozent Steigung auf uns warteten. Das war dann reine Kopfsache; die letzten zehn Kilometer sollten machbar sein. Der eine oder andere Kamerad schob bereits, was für mich aber nicht in Frage kam. Ich dankte mir selbst, dass ich mich für ein 30er Ritzel entschieden habe. Hätte ich ein 32er gehabt, hätte ich auch dieses aufgelegt.   

Und während ich so über meine Wunschübersetzungen sinnierte, tauchte vor mir im Nebel, ca. zwei Kilometer vor dem Gipfel auch noch Marek auf und so beschlossen wir, ohne es auszusprechen, gemeinsam und locker quatschend wie zwei Fischweiber die letzten Kilometer abzuspulen. 

Auch die Abfahrt vom Timmelsjoch  besteht aus zwei Teilen. Wie schwer die Abfahrt bei 1°C noch werden sollte, konnte ich noch nicht erahnen und auch jetzt noch nicht in Worte fassen. Doch so sah es aus:

Kurz nach dem Grenzübergang von Italien nach Österreich gab es noch mal eine Rampe mit ca. 120 Höhenmetern, die ich mit dem Anstieg zur Heilbronner Waldheide vergleichen würde. Blöderweise hatte sich eine Kuhherde auf die Fahrbahn verirrt, nicht zufrieden grasend am Straßenrand, nein, mitten auf der Straße. Die Damen ließen sich nicht beirren und blieben ruhig und fasziniert stehen, so dass man ganz vorsichtig und einer nach dem anderen zwischen den Viechern Slalom fahren musste. 

Aber dann war es fast endgültig geschafft und nur noch die Abfahrt nach Sölden zu bewältigen. Doch auch hier kam es zu unschönen Stürzen, da auf der Hälfte der Abfahrt bereits wieder ein Rettungshubschrauber stand, mittlerweile der vierte.

Zu allem Überfluss blieb mein Tacho bei einer Fahrzeit von 10 Stunden und 4 Minuten stehen. Er hat leider bei Zwieselstein, also fünf Kilometer vor dem Ziel schlapp gemacht. Die Datasport Zeitmessung bestätigt mir dafür unerbittlich eine Bruttofahrtzeit von 10:35 Stunden. Das reichte für Gesamtrang 347 in meiner Altersklasse.

 

Fazit

Auch wenn meine Sitzposition gelegentlich etwas abenteuerlich und unkonventionell ausgesehen haben mag, blieb mein Sattel zum Glück dran. Die Bremsgummis von Swisstop haben trotz Carbonfelgen übrigens bis zum letzten Meter zuverlässig funktioniert. Es geht auch ohne Scheibenbremsen, wenn man nur etwas vorausschauend fährt.

Ich glaube, dass das Nichterreichen der nicht ausgesprochenen, aber heimlich erhofften Endzeit von zehn Stunden dafür verantwortlich ist, dass sich die Glücksmomente im Ziel bei mir in Grenzen hielten. Hinüber war ich zwar nicht, aber hatte ich wohl genug gegeben? Oder vielleicht zu viel erwartet? 

Stolz bin ich indes dennoch, es waren ja schließlich keine alltäglichen Bedingungen. Ich komme wieder und dann mit dem Ziel, unter neun Stunden zu bleiben.