Mein langer Weg nach Dänemark

Ich sitze noch nicht lange auf dem Rennrad und es war für mich auch mehr ein Mittel zum Zweck, als bewusste Entscheidung, da ich aufgrund eines Knieschadens nicht mehr den Laufsport ausüben konnte, der bis zu diesem Zeitpunkt meine Passion war. Ich war auf dem Weg zu meinem hundertsten Marathon und zahlreichen Ultramarathons, als der Orthopäde mir einen Strich durch die Rechnung machte. Allerdings ließ er mir die Möglichkeit Fahrrad zu fahren, empfahl dies sogar. 

Zu diesem Zeitpunkt belächelte ich die Fahrradfahrerei noch etwas, da man da ja Gleitphasen hat, in welchen man das Rad rollen lassen kann, was es beim Laufen natürlich nicht gibt.

Erst als ich selbst das erste Mal auf dem Rennrad saß, war mir bewusst, voreilig geurteilt zu haben, denn entgegen meiner Einschätzung war dies zunächst nicht so einfach. Doch immerhin hatte ich so eine Möglichkeit mein Sportpensum einigermaßen aufrecht zu erhalten.  

Ich kam recht schnell rein und lernte die Vorzüge des Rennradfahrens kennen. Denn nur dabei hatte ich die Möglichkeit in Regionen vorzustoßen, die läuferisch von zu Hause aus nicht zu bewältigen gewesen wären.

Irgendwann kam ich dann auf Empfehlung auch zum RC Pfeil und war begeistert vom Fahren in der Gruppe, was etwas völlig anderes war, als die vielen Kilometer alleine auf der Straße. Als letztes Jahr unser Familienurlaub ins Pitztal ging, wollte ich den Weg mit dem Fahrrad bewältigen, was auch bis auf einige Unwägbarkeiten auf der Strecke erstaunlich gut funktionierte. 

Dieses Jahr sollte unser Sommerurlaub einmal wieder im Norden, auf unserer dänischen Lieblingsinsel Fanöstattfinden. Zunächst nicht ernst gemeint, keimte der Gedanke auf, auch diesmal das Rad zu benutzen. Allerdings waren die Verhältnisse hier völlig andere, da es nicht „nur“ knapp über 400 Kilometer sind, wie ins Pitztal, sondern gut 900, einmal quer durch die Republik. Ich ertappte mich dabei,  dass ich das Ziel bereits in meiner App eingab, in welcher ich meine Touren plane (Komoot). 

Nachdem dies bereits Anfang 2018 war und bis zum Urlaub im August noch einige Wochen vergehen mussten, ließ ich den Gedanken zunächst dabei bewenden. Erst als ich von Teilen der Familie, wenn auch mit einem Augenwinkern, darauf angesprochen wurde, ob ich den Weg in den Urlaub wieder mit dem Rad auf mich nehmen wolle, entschied ich mich, es einfach zu versuchen. Der Streckenplan stand recht schnell, da ich die 900 Kilometer in drei Etappen fahren wollte – die erste von zu Hause bis nach Kassel, die zweite von Kassel nach Hamburg und die dritte Etappe von Hamburg nach Fanö. Immer um die 300 Kilometer am Tag, mit insgesamt um die 7000 Höhenmeter. Da etwa die Hälfte der Höhenmeter auf dem Weg nach Kassel zu bewältigen wäre, sollte der restliche Weg problemlos machbar sein. So zumindest der Plan in meinem Kopf. Es kam ein wenig anders, aber das konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sehen.

Bei meiner Pitztal-Tour nervte mich bereits nach 50 Kilometern mein viel zu schwerer Rucksack, in welchem ich zwar nur das Nötigste eingepackt hatte, der aber dennoch zehn Kilogramm auf die Waage brachte. Diesmal war eine der Voraussetzungen die Tour anzugehen, auf den Rucksack zu verzichten. Da mich aber niemand in einem Begleitfahrzeug unterstützen würde, da der Rest der Familie erst aufbrach, als ich auf der dritten Etappe sein würde, musste ich einen anderen Weg finden, meinen Klamotten, Verpflegung oder auch die Ersatzteile unterzubringen. Dabei führte mich mein Weg recht schnell zu Ortlieb, die auch für Rennräder passende Lösungen anbieten, ohne dass das Rad gleich zum Trekkingrad mutiert. Daher kam eine Tasche für die Sattelstütze und eine für den Lenker in den Einkaufskorb.

Eine Testfahrt damit vor dem Aufbruch nach Dänemark brachte interessante Erkenntnisse, da das Rad durch die Zuladung und deren hin- und herschwingen relativ instabil wurde und damit anders gefahren werden musste. Diesen Preis war ich jedoch auf Kosten des freien Rückens gerne bereit zu bezahlen. 

Ausgestattet mit ausreichend Wegzehrung fand für mich am vergangenen Mittwoch um kurz nach vier Uhr morgens der Start statt und ich machte mich auf das Abenteuer nach Dänemark. Ich wollte bewusst so früh aufbrechen, da ich bei einer Probefahrt zu dieser Zeit feststellte, dass die sommerlichen Temperaturen keine Rolle spielen und auch der Verkehr auf den Straßen faktisch noch nicht vorhanden ist. So könnte ich bis Mittag bereits ein gutes Stück der Strecke hinter mich gebracht haben, bis die Flaschen das erste Mal aufgefüllt werden müssten. Allerdings musste ich bereits auf dem Neckarsulmer Marktplatz die erste Zwangspause einlegen, da sich die Tasche meiner Sattelstütze löste. Kurz zweifelte ich an dem guten Namen von Ortlieb und wünschte mir, mich nicht doch falsch entschieden zu haben. Allerdings lag der Fehler nicht an der Konstruktion der Tasche, sondern am Unvermögen des Nutzers, da ich die Befestigungsriemen nicht wie vorgesehen, durch zwei Metallösen gezogen habe, sondern an denen vorbei direkt auf einen Klettverschluss. Damit war der Halt jedoch nur die ersten 20 Kilometer gewährleistet und nicht länger. Als die Aufhängung so befestigt war, wie es der Hersteller vorgibt, war sie plötzlich fest und zeigte auch für den Rest der Tour keinerlei Ablösungserscheinungen.

Die Strecke führte mich zunächst auf bekannten Pfaden durch das Trainingsgebiet des RC Pfeil in Richtung Sulzbach und hinein in den Odenwald, wo ich später teilweise am Main entlang nach Aschaffenburg fuhr. Bereits auf hessischem Boden machte ich gegen Mittag die erste Verpflegungspause, mein Konzept ging also auf. Die Strecke im Main-Kinzig-Tal war wirklich was fürs Auge, sodass die Kilometer nur so dahinflogen.

Grebenhain

Grebenhain

Je näher ich Kassel kam, desto unattraktiver wurde die Landschaft. Irgendwo habe ich auch mal gelesen, dass Kassel einen der vorderen Plätze der hässlichsten Städte Deutschlands belegen soll. Ob dem so ist, weiß ich nicht, da ich mein Hotel am Rande Kassels hatte, direkt am Anstieg zum Herkules-Denkmal in der durchaus netten Gegend der Kassler Wilhemshöhe. 

Kassel

Nach 306 Kilometern mit 3800 Höhenmetern  und einer Fahrtzeit von 11 Stunden und 49 Minuten war die erste Etappe abgehakt und Zeit für etwas leckeres zu Essen und ein großes Radler. Das Hotel, für welches ich mich entschieden habe, war zwar direkt auf der Strecke und ich musste keinen Umweg in Kauf nehmen, doch die Unterbringung des Rades und der Zustand der Zimmer, war durchaus diskussionswürdig.

Garage

Doch mein Plan war wieder gegen 04:00 Uhr das Schmuckstück zu verlassen, sodass ich nicht viel Komfort brauchte - eine Dusche und ein Bett genügten mir.

Als der Wecker um drei Uhr morgens klingelte, bereute ich es kurz, diese Strategie so konsequent verfolgt zu haben, doch die zuvor erwähnten Vorteile überwogen und ich packte meine Siebensachen. Für etwa fünf Kilometer führte der Weg dann gleich erst einmal relativ Steil den Berg hinauf, auf welchem sich auch Herkules-Denkmal auf dem östlichen Hang des Habichtswaldes befindet. Doch wo es hoch geht, geht in aller Regel auch ein Weg hinab. 

Bis der Tageskilometerzähler endlich dreistellig wurde, verging die Zeit wie Melasse. Die Beine wollten nicht richtig treten, die Muskeln waren noch zu sehr beansprucht und Dank des kühlen Nebels der frühen Morgenstunden und der damit verbundenen grauen Tristesse der Landschaft wollte sich auch die Motivation noch nicht blicken lassen. Also Windjacke an, die Zweifel überwinden und rein in den Sattel, es standen ja noch genügend Kilometer auf dem Plan. 

Mein Weg führte weiter schnurgerade in Richtung Norden, zwischenzeitlich war auch die Sonne aufgegangen und ich kam langsam wieder in meine Fahrt. Der Bereich um Höxter war dann auch wieder richtig etwas fürs Auge und mein Weg führte direkt am Weltkulturerbe Corvey vorbei, einer mittelalterlichen Bendediktinerabtei. Dank des Lichts und der tollen Umgebung fand ich endgültig zurück in den Zustand der heutzutage gerne mit Flow bezeichnet wird. 

Corvey

Die Kilometer rauschten förmlich dahin und ich genoss jeden einzelnen davon, weshalb ich mich kontinuierlich meiner nächsten Landmarke Hannover näherte. Auch wenn ich immer wieder in Baustellen geriet und es quasi keine Fahrbahn mehr gab und ich das Rad schieben oder auch stückweise tragen musste.  

In die niedersächsische Hauptstadt fuhr ich nicht ganz hinein, sondern streifte sie auf der östlichen Seite, wo ich mich in einem großen Waldgebiet befand. Die Wege dort waren quasi Radautobahnen, da dort nur Radfahrer unterwegs waren und die Fußgänger auf Wegen parallel zu diesen. 

Waldhausen

In der Zwischenzeit sah ich auch schon bereits die ersten Schilder, die mein nächstes Etappenziel Hamburg zeigten. 250 Kilometer waren bereits geschafft, also ging es nach einer letzten Verpflegungspause auf den Zielsprint in nach Hamburg. Allerdings musste die Konzentration noch immer hochgehalten werden, da es sein konnte, dass man ein Gefälle herunterfährt und sich unmittelbar nach einer Kurve auf übelsten Kopfsteinpflaster wiederfand. Kommt man mit um die 50 km/h da drauf, bleibt nur kontrolliert zu bremsen und zu hoffen, nicht vom Rad geschüttelt zu werden. Ich wurde nicht zu Fall gebracht, wofür ich sehr dankbar war, insbesondere in Anbetracht der bereits in den Beinen steckenden Kilometer. Eines fiel mir bei den Fahrten über die teilweise sehr dünn besiedelten Gegenden auf: Die Leute, wenn ich dann mal auf welche traf, waren allesamt super freundlich, grüßten mich und die Kinder winkten mir manchmal hinterher. Unvorstellbar wenn man an die Heilbronner Gegend denkt, aber hier scheint die Welt noch ein Stückchen mehr in Ordnung zu sein.

Das Hamburger Stadtgebiet erreichte ich im Stadtteil Rönneburg, welchen ich zuvor noch nicht kannte. Bis zum Hotel blieben allerdings noch immer um die zwanzig Kilometer durch den dichten Feierabendverkehr - Hamburg ist ja schließlich eine Millionenstadt. Ich wendete noch einmal alle Konzentration auf das Navi und die unzähligen Ampeln auf, um nicht einfach kurz vor dem Ziel der zweiten Etappe umgefahren zu werden. Nicht einfach, aber es musste sein.

In meinem Hotel angekommen, war bereits das Team Katusha vor mir da, welches sich auf die Hamburg Cyclasics vorbereitete. Daher nahm man im Hotel kaum Notiz von einem weiteren Rennradfahrer, auch wenn ich an der Rezeption angesprochen wurde, ob ich der Radfahrer bin, der nach Dänemark fährt. Seltsam, war aber so.

Damit war nach 310 Kilometern, 2200 Höhemetern und 11:15 Fahrtzeit auch diese Etappe geschafft und ich tatsächlich mit dem Rad nach Hamburg gefahren. Eigentlich hätte ich hier aufhören können, da Hamburg definitiv zu meinen Lieblingsstädten zählt, aber die Tour war noch nicht am Ziel. Mein letzter Weg dieser Etappe führte mich unter die Dusche, zum Dönergrill in der Nachbarschaft und anschließend auf direktem Weg ins Bett, da mein Wecker noch immer auf 03:00 Uhr stand und sich auch nicht davon abhalten würde, mich zu dieser unchristlichen Zeit aus den Federn zu werfen.

Und es kam, wie es kommen musste, er klingelte nur drei Stunden nach Mitternacht, allerdings zum letzten Mal. Also erneut in die Radklamotten und auf leisen Sohlen aus dem Hotel geschlichen. Für mich startete die dritte und letzte Etappe von Hamburg nach Fanö.

Das Wetter versprach wieder gut zu werden, ich fuhr direkt ohne Jacke oder Ärmlinge los. Interessanterweise war zu diesen frühen Morgenstunden bereits ordentlich Verkehr auf Hamburgs Straßen, weshalb ich das relativ gut ausgebaute Radwegnetz benutzte. Bis ich das Hamburger Stadtgebiet hinter mir gelassen habe, musste ich an gefühlt 250 Ampeln anhalten, weshalb die Zeit unaufhörlich voranschritt und ich im Gegenzug nur wenig Kilometer hinter mich gebracht hatte.

Ulzburg

Ulzburg

Ein weiterer Vorteil sich relativ früh bereits auf das Rad zu setzen, liegt darin, dass man bereits kurz vor sechs Uhr beim Bäcker Mettbrötchen essen kann. Die etwas angewiderten Blicke der anderen Brötchenkäufer muss man dabei ignorieren, die können ja nicht wissen, welchen Energiebedarf man hat und warum. Ich kann es empfehlen, es gab ordentlich Druck aufs Pedal und die zwischenzeitlich wieder aufgegangene Sonne tat ihren Rest. Flow.

Lentforden

Lentforden

Sarlhusten

Sarlhusten

Was mich an Komoot, meiner Routing-App, zu Hause immer stört, ist die Tatsache, dass sie einen immer Abseits von den Hauptstraßen, über irgendwelche kaum befahrenen Nebenstrecken lotsen will. Auf meiner Tour habe ich jedoch genau diesen Aspekt zu schätzen gelernt. Denn genau auf diesen Straßen, konnte ich völlig frei fahren und begegnete manchmal über einen langen Zeitraum nicht einem einzigen Auto.

Aukrug

Aukrug

Doch ein Navi hat auch seine Tücken. In Rendsburg sollte ich einen Fluss überqueren, fand aber keine Brücke. Kurz zweifelte ich daran, an der richtigen Stelle zu stehen, doch der Pfeil auf der Karte ließ sich nicht beirren und zeigte weiterhin direkt geradeaus. Doch ich fand keine Überquerung, weshalb ich einen Bauarbeiter fragte, der dort stand. Insgeheim dachte ich, er wäre mit dem Bau der Brücke befasst, verwarf diesen Gedanken allerdings umgehend wieder, wenn auch mit einem Schmunzeln auf den Lippen. Der freundliche Mensch gab mir zu verstehen, ich müsse in ein fünfzig Meter entferntes Häuschen hineinfahren, durch welches ich zu einer Rolltreppe komme, die mich unter dem Fluss durch einen Tunnel führte, wo ich tatsächlich auf der anderen Seite wieder das Tageslicht erblickte. 

Rolltreppe

Tunnel

Auf dem Weg nach Flensburg kam ich an einem anderen Rennradfahrer vorbei, der ebenfalls mit ordentlich bepacktem Rad unterwegs war und gerade am linken Straßenrand austreten war. Kurzer Gruß, wie unter Rennradfahrern üblich und weiter ging es. Nach einiger Zeit bemerkte ich, dass sich jemand in meinem Windschatten gütlich tat und stellte fest, dass es besagter Pinkler war. Nach hunderten Kilometern im Wind, war es mir nun auch egal, ob jemand Anderes von meinem Schatten partizipierte. So fuhren wir einiger Kilometer hintereinander her und ich hätte einiges dafür gegeben, unser Gespann mal von der Seite zu sehen. Doch irgendwann trennen sich, wie so oft, die Wege und ich musste links abbiegen, was meinem Windschattenschmarotzer sichtlich mehr störte als mich, aber immerhin bedankte er sich.

Kurz darauf traf ich auf meinen Schwager und dessen Freundin, die mich via Strava verfolgten. Ich war etwas irritiert, plötzlich vor jemanden aus der Familie zu stehen, da ich einfach nicht damit rechnete. Doch etwas Abwechslung und die bekannten Gesichter kamen mir zu diesem Zeitpunkt gerade recht. Noch im gegenseitigen Austausch steckend, kam mein vorheriger Begleiter wieder vorbei und auch diese Wiedersehensfreude war spürbar. Natürlich hielt er an und wir kamen ins Gespräch. Auf die Frage, was er so gerade mit dem Rad anstelle und noch vorhabe, meinte er, dass er gerade vom Nordkap zurückkomme, da er erfolgreicher Teilnehmer des North Cape 4000 sei. Dabei handelt es sich um ein 4000 Kilometer langes Rennen vom Gardasee durch zehn Länder hindurch an das Nordkap. Er wollte von mir wissen, wo ich noch hinwolle, ich antwortete Dänemark, was für ihn war, wie kurz zum Bäcker. Dies war einer der Momente, die eine solche Fahrt so wertvoll machen, denn für einen persönlich ist das was man tut das Maß der Dinge. Aus seiner Warte, der für die Strecke vom Gardasee bis ans Nordkap nur etwa 13 Tage brauchte, handelte es sich bei meiner Fahrt eher um eine Teilstrecke. Es ist schon herausragend, zu welchen Leistungen der Mensch in der Lage ist.

Steffen

Steffen, so hieß mein temporärer Begleiter war zu diesem Zeitpunkt fast am Ziel seiner Tour, da er nur noch nach Schleswig wollte, was sich etwa 60 Kilometer von unserem Punkt befand, wo bereits Kaffee und Kuchen auf ihn wartete. Der Glückliche.

Mein nächstes Ziel war Flensburg, die Dänische Grenze danach nur noch einen Steinwurf entfernt. Bevor ich dänischen Boden betrat, wollte ich noch einmal eine Verpflegungspause einlegen, die Flaschen füllen und mich auf die letzten etwa 150 Kilometer machen. Das Gefühl endlich in dem Land zu sein, welches ich auf so vielen Kilometern entgegensehnte war ebenfalls ein ganz besonderes. 

Danmark

Vom naheliegenden Ziel beflügelt, trat ich wieder in die Pedale und wurde nach einigen Kilometern, nach einem Linksschwenk, von der Realität des windigen Nordens erfasst. Ich stand komplett in einem strengen Gegenwind, was meine gewohnte Reisegeschwindigkeit umgehend massiv herabsetzte. Ein Blick auf das Navi verriet mir, dass ich diesen Zustand noch bis an den Zielort ertragen werden müsste, da es keine weitere Wende mehr gab. Und was soll ich sagen, der Wind machte mich mürbe. Ich lag so klein wie es ging auf dem Auflieger, trat wie ein Irrer in die Pedale und dümpelte mit einer Geschwindigkeit herum, die für die verbleibenden Kilometer noch mehrere Stunden Zeitansatz bedurft hätten. Wieder ein Tiefpunkt meiner Reise, doch auch diesmal gab es keine Alternative. Auch die tollen, wenn auch flachen Landschaften, schafften es nicht, mich aus meinem Motivationstief herauszuholen. Was mir jedoch half, war der Kontakt zu einem Kollegen, der mich ebenfalls über Strava verfolgte und versuchte, mich wieder aufzurichten. Doch selbst mit verbliebenen 50 Kilometern und hinter mir liegenden 850 wollte und wollte es nicht besser laufen.

Bramming

Bramming

Erst als ich meinen nächsten Orientierungspunkt Riebe erreichte, bei welchem es sich um die älteste Stadt Dänemarks handelt, ging es langsam aber sicher wieder ein wenig bergauf. Zwar noch weit entfernt am Horizont, aber immerhin mittlerweile sichtbar, konnte ich die Industrieanlagen des Hafens von Esbjerg erkennen. Esbjerg war mein letztes Etappenziel, da ich von dort aus mit der Fähre nach Fanö übersetzen würde. Dieser Ausblick sorgte für einen letzten Schub und ich schaffte es, die verbleibenden Kilometer kontinuierlich zu reduzieren. Irgendwann waren sie dann auch tatsächlich einstellig und der Hafen zog mich magisch an. Die letzten Kilometer durch das Industriegebiet von Esbjerg waren optisch nichts, aber ich hatte zu diesem Zeitpunkt bereits schon ausreichend ansprechende Bilder gesehen. Augen zu und durch, war wieder einmal mein Motto. Ein untrüglicher Vorteil von Industriegebieten ist der fehlende Gegenwind, der mich für die letzten einhundert Kilometer so quälte, allerdings nicht besiegte und so erreichte ich das wichtigste Schild meiner Reise.

Fanoe

Fähre

Hafen

Fahne

Und dann war es tatsächlich geschafft, was als fixe Idee entstand, war nach 900 Kilometern, 33 Stunden Fahrtzeit, 7400 Höhenmetern, 19400 verbrannten Kalorien, bei einem Kilometerschnitt von 26,8 km/h und einer durchschnittlichen Herzfrequenz von 119 Schlägen pro Minute zu Ende. Unfassbar glücklich und noch gar nicht begreifend, was ich geschafft hatte, stand ich mit allen Emotionen und Erlebnissen einer schier endlos langen Fahrt, mit wunderschönen Eindrücken, freundlichen Menschen und ohne größere Komplikationen am Meer und konnte unmittelbar danach meine Familie in die Arme schließen, ohne auch nur einen einzigen Ersatzschlauch benötigt zu haben.

Strand

Lange Fahrt!