Von Toilettengängen mit Kreditkarte, dem norwegischen Regen und einer Kraftprobe der besonderen Art: Die Bootsmanns beim Styrkeprøven

Der Gedanke den Styrkeprøven (die Kraftprobe) in Angriff zu nehmen reifte bei uns im Herbst letzten Jahres. Unser Freund René vom Berliner Radsport Team fragte uns ob wir nicht gemeinsam die berüchtigte Tour von Trondheim nach Oslo mit satten 543 Kilometern und knapp 4000 Höhenmetern fahren wollten.

Wir waren gleich Feuer und Flamme, denn es war eine neue Herausforderung auf die wir konsequent hin trainieren konnten. Einige Bedenken machten sich dann doch vor der offiziellen Anmeldung bei uns bereit, denn 543 Kilometer fährt man ja nicht jeden Tag und erst recht nicht aus der berühmten "Kalten Hose". Also hielten wir Rücksprache mit unserem Trainer Torsten Hiekmann um alle Fragen und Unklarheit aus dem Wege zu räumen.

Mit der Anmeldung im September 2018 und gleichzeitig der Buchung der ganzen Übernachtungen gab es für uns dann kein zurück mehr.

Zur Vorbereitung auf diese große Herausforderung absolvierten wir mehrere Marathons und Etappenrennen - unter anderem die Tour de Kärnten (6 Tage Etappen-Rennen), Kirschblütentour, Hügeltour, Rhönradmarathon und noch einiges mehr.

Wir fühlten uns gut gerüstet und traten am Dienstag, 18.06.2019 mit unserem voll gepackten Auto die zweitägige Reise über 1800 Kilometer nach Norwegen an. Dort angekommen hatten wir gleich mit den Widrigkeiten der Parksituation zu kämpfen. Ein Parkhaus mit reichlich Parkplätzen stand zwar in unmittelbarer Nähe zur Verfügung, nur verstanden wir nicht gleich das System zur Abrechnung der Parkgebühren. Da unser Fahrzeug dort die nächsten vier Tage sein zu Hause finden sollte, rutschte uns das Herz in die Hosentasche als wir fälschlicherweise Annahmen dass sich die Parkgebühren für diesen Zeitraum auf 360 Euro belaufen sollten. Norwegen ist teuer das war uns klar, aber mit solchen enormen Nebenkosten hatten wir nicht gerechnet. Zumal wir zu dem Zeitpunkt auch noch nicht wussten, wie die Gebühren überhaupt zu bezahlen sind, da wir keinerlei Parkticket bei der Einfahrt ins Parkhaus erhielten.

Zum Glück stellte sich heraus, dass wir ja den Parkplatz nicht für einen ganzen Monat anmieten wollten und der nette Portier von unserer Unterkunft konnte uns über den Irrtum und die Entrichtung der Parkgebühren aufklären. Es geht einfach alles online und Bargeld benötigt man dort fast nicht mehr. Dass man in Norwegen mit einer Kreditkarte gut beraten ist, hatten wir bereits im Internet gelesen und so öffnete uns diese auch alle Türen, Erwin sogar die Toilettentür auf dem Hauptbahnhof in Oslo. Für Norweger ganz selbstverständlich, für uns eine neue Erfahrung.

Unser eigentliches Abenteuer begann dann am Donnerstag morgen um 6:00 Uhr als wir mit unseren Rennrädern und jeweils einem prall gefüllten Rucksack auf dem Rücken durch ein noch schlafendes Oslo zu dem drei Kilometer entfernten Kreditkarten-Toiletten-Bahnhof rollten. Dort mussten nämlich bis 7:00 Uhr die Räder zum Transport nach Trondheim per LKW abgegeben werden. Da wir unterwegs weitere Rennradler mit Rucksäcken sahen und der Annahme waren, dass diese ebenfalls ihre Räder zum Transport bringen wollten, sind wir Ihnen einfach hinterher gefahren. Was ein absoluter Trugschluss war, denn irgendwann waren die Fahrer nicht mehr zu sehen und laut Navigation hatten wir uns weiter von unserem eigentlichen Ziel entfernt. Man ist also gut beraten, in wildfremden Metropolen nicht einfach jemanden hinterherzufahren. 

Also hieß es umkehren und sich wieder strickt nach dem Navi zu richten, was uns nach ca. zehn Minuten dann auch zum Treffpunkt brachte. Dort stand bereits der LKW bereit und ein nettes Helferteam nahm unsere Räder in Empfang um sie gut eingepackt in Luftpolsterfolie im Laderaum zu verstauen. Wir vertrauten auf die Erfahrungen der Organisatoren und hofften unsere Räder unbeschadet in Trondheim wieder Empfang nehmen zu können. Immerhin fand der Styrkeprøven bereits zum 53. Mal statt und da hatte sich die Logistik mit Sicherheit auch weiterentwickelt.

Nun konnten wir erst einmal durchatmen und die Zeit für einen Kaffee genießen, denn der Zug nach Trondheim, den die Teilnehmer gleich bei Anmeldung mit buchen konnten, fuhr erst gut eine Stunde später. 

Die 6 1/2 stündige Fahrt wurde von den Teilnehmern genutzt um erste Kontakte zu knüpfen, Strategien für den langen Ritt zu erstellen, die herrliche Landschaft zu genießen oder einfach noch ein wenig zu entspannen. So lernten wir bereits zu diesem Zeitpunkt Uwe, Ludger und Sven (der von Manu fälschlicherweise immer Jens genannt wurde) vom Team Felgenhelden kennen, denen wir später noch öfter begegnen sollten.

Bei herrlichem Sonnenschein in Trondheim angekommen machten wir uns auf den Weg zu unserem Hotel, wo wir bereits von Daniela Marthold, einer ehemaligen RCP-Vereinskollegin, erwartet wurden. Bis zur Ankunft des Rädertransportes bummelten wir durch das schöne Städtchen und vertrieben uns die Zeit im Hafen. Pünktlich traf der LKW ein und wir konnten unsere Drahtesel unbeschadet wieder in Empfang nehmen. Da der Start erst am nächsten Abend erfolgen sollte, hatten wir noch genügend Zeit um unsere Wegbegleiter optimal für die lange Tour auszustatten.

Am folgenden Tag holten wir gemeinsam mit Daniela unsere Startunterlagen ab und langsam machte sich etwas Nervosität breit. 

Die Räder wurden mit den Startnummern versehen, Licht samt Akku angebracht und die Satteltaschen mit Riegel, Gel und Regenkleidung gefüllt. Anschließend noch einmal kräftig Kohlenhydrate in Form von Nudelgerichten getankt und dem Startzeitpunkt entgegen gefiebert. 

21:00 Uhr war es dann soweit, Manu und Daniela stellten sich im Startblock auf und trafen dabei auf die Felgenhelden, welche wir bereits auf der Zugfahrt kennen gelernt hatten. Überraschenderweise schien sogar die Sonne und alle waren frohen Mutes. Man spielte noch mit dem Gedanken die Regenkleidung wieder auszupacken, was wir glücklicherweise dann doch nicht gemacht haben. 

Dann endlich fiel der Startschuss und der Tross setzte sich in Bewegung. 

Erwin stand am Straßenrand und fotografierte die rollende Karawane. Sein Start erfolgte erst 22:38 Uhr und war keineswegs von Sonne geprägt. Bereits im Startblock zitterten die Teilnehmer vor Kälte, denn es hatte in der Zwischenzeit zu regnen angefangen und die Temperaturen waren drastisch gesunken. Für Erwin und alle anderen Teilnehmer hieß es nun sich warm zu radeln.

Die Startgruppe in der sich auch Manuela befand wurde nach ca. 30 Kilometer vom Regen eingeholt. Anfangs nur als leichter Nieselregen der sich in einen regelrechten Wolkenbruch verwandelte. Die Temperaturen sanken binnen kürzester Zeit in Richtung Gefrierpunkt und selbst die Regenkleidung war in kürzester Zeit komplett durchgeweicht.

Einige Radler stellten sich an Rastplätzen und Tankstellen unter, was aber keine wirklich gute Option war, denn es war viel zu kalt um stehen zu bleiben. Einfach nur weiter fahren und in Bewegung bleiben. Was bedeutete, dass wir 60 Kilometer und Erwin sogar fast 100 km im strömenden Regen unterwegs waren.

Immer wieder sah man Radler, die durchgefroren am Straßenrand standen und nicht mehr in der Lage waren die Fahrt fortzusetzen. Ein Hoffnungsschimmer blieb den bis auf die Haut durchnässten Sportlern, denn laut Wettervorhersage sollten wir direkt in eine Schönwetterzone fahren. Bis dahin musste allerdings noch der zweite längere Anstieg bewältigt werden. Dieser sorgte zwar dafür dass die Körpertemperaturen stiegen, allerdings mussten die Kräfte gut eingeteilt werden, denn die Nässe und Kälte hatten unsere Energiespeicher bereits etwas angegriffen. Wenn man meinte, nach dem Anstieg wäre das Schlimmste überstanden, dann hätte man sich gewaltig getäuscht. Denn nun hieß es nach 170 Kilometern auf 1026 Meter über dem Meer den Kampf gegen den enormen Wind zu gewinnen. Glück dem, der da einen geeigneten Windschatten hatte. Für Manu, die zu diesem Zeitpunkt allein unterwegs war, hieß es sich selbst zu motivieren um nicht vor Anstrengung in Tränen auszubrechen oder gar Gedanken ans Aufgeben zu verschwenden.

Auch dieses kleine moralische Tief wurde überwunden und nach einer rasanten Abfahrt wartete nach nunmehr 196 Kilometer bereits die dritte Verpflegungsstation. Ab da hieß es eine Gruppe zu suchen, der man sich anschließen konnte um die Kräfte ein wenig zu schonen, denn das weitere Höhenprofil zeigte viele Flachpassagen mit immer wiederkehrenden Rampen an. Manu hatte das Glück auf ein norwegisches Männerteam zu treffen, die sie mit in ihre Gruppe integrierten, dadurch wurden die folgenden 70 Kilometer bis zur vierten Labesstation schnell heruntergekurbelt.

Erwin hatte etwas weniger Glück, denn er wurde nach 250 Kilometer in einen Sturz mit sechs weiteren Fahrern verwickelt. Dabei hat er sich einige Prellungen am Gesäß sowie Schürfwunden im Schulterbereich zugezogen. Sein Rad bekam ebenfalls einige Schrammen ab, vor allem das Laufrad war in Mitleidenschaft gezogen worden, trotz allem konnte er nach einigen Handgriffen die Piste wieder unter die Räder nehmen.

Nachdem er sich von diesem Schreck erholt hatte, bot sich ihm ab Kilometer 280 die Gelegenheit mit dem deutschen siebenköpfigen Männer-Team „Pedal Selbstbedienung“ aus Villingen-Schwenningen die Fahrt fortzusetzen.

Gemeinsam bestritten sie die restlichen 263 Kilometer bis ins Ziel. Dieses erreichte Erwin nach 20 Stunden mit einer Nettofahrzeit von 18 h.

Für Manuela gestaltet sich die Fahrt bis zur Verpflegungsstation bei Kilometer 307 etwas schwieriger, denn das nette norwegische Männerteam hatte sie zwischenzeitlich verloren und musste sich nun mehr oder weniger allein durchkämpfen. Unterwegs traf sie auf David und Tron, beides norwegische Radler, mit denen sie kurzer Hand eine eigene, kleine Gruppe gründete und nach kurzer Abstimmung mit einigen englischen Brocken waren sie sich einig gemeinsam bis ins Ziel zu radeln. Eine riesige Freude kam am folgenden Verpflegungsstopp auf, denn da trafen sie auf die Felgenhelden (Ludger, Uwe und Sven) die Manu ja bereits schon von der Zugfahrt und dem Start in Trondheim kannte. Die Felgenhelden befanden sich bereits schon wieder im Aufbruch und so musste schnell etwas zu essen geschnappt, Flaschen gefüllt und den beiden norwegischen Begleitern mitgeteilt werden, dass wir nun zu sechst weiterfahren würden. Diese waren natürlich ebenso erfreut, dass unsere Gruppe so schnell Zuwachs bekommen hatte.

Zwischendurch wurde schnell noch das Handy nach Nachrichten gecheckt, denn Grüße und Motivation aus der Heimat waren zu diesem Zeitpunkt unheimlich wichtig. So wurden wir von Bruno Gurr (unserem Vereinsvorsitzenden) angefeuert, der wie viele weitere Freunde, Bekannte, Familienangehörige und Vereinskollegen unseren Megaritt online verfolgte. Von unserem Trainer Torsten Hiekmann bekamen wir immer wieder Tipps und mentale Motivationsschübe, was besonders Manuela sehr geholfen hat.
Die noch anstehende Strecke von 236 Kilometer bis ins Ziel fuhren wir gemeinsam und gelegentlich gesellten sich noch weitere Fahrer zu unserer Gruppe. 

Nach endlosen Rampen erreichte auch Manu mit ihren Leidensgenossen nach 26 Stunden und einer Nettofahrzeit von 21,5 Stunden das Ziel in Oslo. 

Dort wurden sie von Erwin herzlichen in Empfang genommen, der in der Zwischenzeit Bier zur Begrüßung organisiert hatte. Es wurde sich umarmt, beglückwünscht und natürlich noch ein Smalltalk über die Erlebnisse und Strapazen der Tour gehalten.
Endlich fiel die ganze Anspannung von jedem einzelnen Teilnehmer ab und vollgepumpt mit Adrenalin war von Müdigkeit nach 20 bzw. 26 Stunden im Sattel nichts zu spüren.

Die Teilnehmer und Teams mit Begleitfahrzeugen hatten allen anderen Radlern gegenüber einen riesigen Vorteil: Sie mussten nie bei den Verpflegungsstationen anstehen, wurden von ihrem Begleitteam ständig versorgt, konnten überall Zwischenstopps einlegen und hatten nicht die zusätzliche Last durch Regen- und Wechselkleidung zu tragen. Aber all das haben wir liebend gern in Kauf genommen, um Finisher beim Radklassiker Styrkeprøven zu absolvieren.

Nach einer Nacht im absoluten Tiefschlaf erkundeten Erwin und Manu am nächsten Tag Oslo. Witzigerweise kreuzten sich im Hafen die Wege mit den Felgenhelden, wo sie gemeinsam auf die inzwischen vierte Begegnung anstießen.

Fazit: Norwegen im Allgemeinen und der Styrkeprøven im Besonderen ist auf alle Fälle eine Reise wert.

 

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Wer die zurückgelegte Strecke  einmal animiert sehen möchte, kann dies bei Relieve durch Klick auf den nachfolgenden Link:

Styrkeprøven 2019 - Manuela Bootsmann

Und wer selbst einmal mit dem Gedanken spielt die Tour auf sich zu nehmen, auf der Seite des Veranstalters gibt es alle Informationen, die man sucht.